von Werner Zingelmann
Nachdem sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs bereits drei karnevalistische Interessensgruppen in Eltville gebildet hatten, fand am 21. Februar des Jahres 1948 die Neugründung des Eltviller Carneval Verein im Gasthaus Eintracht, dem heutigen Restaurant „Alta Villa“ statt. Die Gründer waren Philipp Schott, Franz Stein, Jean Wolf, Willy Scharhag, Jupp Haas, Paul Kahlweiß, Josef Haas, Josef Wohlfart, Willi Hambückers und Karl Kiefer. Aus ihren Reihen wählten sie den Vorstand. Phillipp Schott, der schon im ersten Carnevalverein ein sehr bekannter und geistreicher Büttenredner war und die nötige Erfahrung besaß, wurde zum ersten Vorsitzenden ernannt, erster Kassierer wurde Jean Wolf und erster Schriftführer Franz Stein. Die beiden letzteren waren in späteren Jahren dann auch Vorsitzende des ECV.
Willi Hambückers übernahm das Amt des Sitzungspräsidenten. Hambückers war gebürtig aus Aachen – eine echte rheinische Frohnatur. Er dichtete und komponierte im Laufe des Jahres unseren schwungvollen ECV-Einzugsmarsch „Fort mit dem Alltagsgrau“.
Bei der närrischen Generalversammlung am 11.11.48 in der nun zum Vereinslokal auserkorenen Eintracht wurde der erste Elferrat vorgestellt. Jetzt war es möglich, mit den Vorbereitungen zur ersten großen Sitzung zu beginnen.
Die Bühne baute der Wagner Karl Heinz Adams und die Dekoration der Oberbühne richtete Tapezierer Kaspar Haas aus. Bei der Gestaltung des Bühnenbildes war außerdem der Künstler Prof. Zimmermann von maßgebender Bedeutung, dessen Harlekin heute noch unser Wahrzeichen ist. Die Orden wurden in der Fa. Glyco in Wiesbaden-Schierstein gegossen und anschließend handbemalt.
So konnte die erste Sitzung des Eltviller Carneval Vereins bei ausverkauftem Haus am 29.1.1949 in der Stadthalle steigen. Beim Eintritt zur Sitzung gab es für jeden Besucher noch „Kapp und Stern“. Den Anfang der Sitzung bildete ein Vorspiel mit den Mitwirkenden Wilhelm Germann, Willi Flöck, Naz Grundel und der Anglerin Meta Ippel. In diesem Stück gab es den legendären Satz: „No Meta, duhn dei Fisch aach beiße?“, „Hals Maul un babbel leise.“ Nach einem Schuh hat Meta unter viel Beifall und Helau den Prinzen Carneval aus dem Rhein geangelt. Dieser Prinz, „Knabbel“ Heinz Günter Haas ist heute als Aktiver immer noch auf unserer Bühne zu sehen. Vorträge hielten an dieser ersten Sitzung Phillipp Schott, Jean Wolf, Willi Scharhag, Josef Haas („Knabbel“ senior), Willi Hambückers und Ferdi Jacobs. Gesangliche Darbietungen brachten Dr. Hüther und Herr Hohoff sowie die „Straßensänger“ vom Gesangverein Liederkranz.
Das „Mainzer Hofballett“ tanzte auf der närrischen Bühne; es waren: Elsbeth Hammer (später Schiller) sowie Eleonore Christen, Lissy Gilberg und Elli Andreae, Einstudierung durch Kowa Krüger, alle von der Turngemeinde Eltville.
Unsere ersten Zeremonienmeister waren Hans Schiller und Karl Heinz König und Toni Späth als Mundschenk. Für die Maske sorgte Otto Zingelmann.
Der ECV tat sich in den Anfangsjahren sehr schwer. Man muss bedenken, dass das Geld knapp war, denn mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 hatte es zunächst nur eine Erstausstattung von 40 DM pro Person gegeben. Dazu kam, dass der OCV aus Oberwalluf schon 1947 und auch 1948 seine Sitzungen in Eltville in der Stadthalle abhielt und zwei Sitzungen konnte sich finanziell niemand leisten. So hieß es bei den Eltvillern: „Die Oberwallufer, die mache des so schee, do braucher mer nit bei die Eltviller zu geh.“
Unvergessene Vorspiele
Auch 1950 begann die Sitzung wieder mit einem Vorspiel, dem „Forum in der Steinzeit“. Man muss wissen, dass nach dem Krieg die sogenannte Entnazifizierung stattfand und der Vorsitzende des zuständigen Forums in Eltville Stein hieß. Mitwirkende waren Neandertaler (Flöck, Germann, Grundel), die sich Felle übergeworfen hatten und bei Naz Grundel hing das Fell sehr hoch. Wenn er die Arme nach oben warf ging das Fell mit in die Höhe, hinzu kam, dass Naz keine Unterwäsche darunter trug und so war in den ersten Reihen die Schreierei riesig. Außerdem hatten die Neandertaler ihre Texte nicht gut gelernt und wenn sie nicht weiter wussten machten sie einfach „Hulla, Hulla“. Die Sitzung ging als Hullasitzung in die Vereinsgeschichte ein.
In diesem und den folgenden zwei Jahren gab es Orden Erster Klasse für die Aktiven auf der Bühne und Zweiter Klasse für die Helfer hinter der Bühne.
1951 wird Heinz Flöck Präsident des ECV und Willi Hambückers wird zum Ehrenpräsidenten ernannt.
Ein sehr wichtiger Helfer in den Aufbaujahren war Josef Fabisz, der uns sehr viele Vor-spiele und Texte zur Verfügung stellte. Seinen größten Erfolg erzielte er mit dem Stück „Die Wahl der Rheingauer Weinköniginnen“, das der Elferrat bei der Eröffnung des zweiten Teils der Sitzungen 1951 zur Aufführung brachte. Alle Elferräter erschienen im Dirndl und jede Königin hatte einen Spruch aufzusagen, z.B. Nick Föhr: „Hoch vom Norden komm ich her, ich bin die Rauenthaler Ehr“. Nick Föhr konnte sich diesen Satz nicht behalten und fragte seinen Nachbarn auf der Bühne: „Karl, watt muss ich noch sache?“ Die Wahl der Rheingauer Weinkönigin fiel schlussendlich auf die „Espenschieder Hotzelderr“ unseren Präsidenten Heinz Flöck.
Die Institution Otto Ensgraber
Mit Otto Ensgraber hatte der ECV damals ein „Mädchen für Alles“. Er war für die Technik verantwortlich, somit sorgte er auch für die Beleuchtung und ließ das Licht hell und dunkel werden, was folgendermaßen realisiert war: Auf und hinter der Bühne war eine Bütte mit Wasser, darüber hing ein Messingblech mit einem Elektrokabel verbunden, das man langsam in das Wasser eintauchte oder herauszog. So wurde damals das Licht gedimmt, heute unmöglich. In all den Jahren war Otto außerdem für Auf- und Abbau, Transport, das Liederheft, die darin erschienen Anzeigen, Plakate, kaputte Lampions, das Lager des ECV auf seinem Speicher und vieles mehr verantwortlich. Er war einfach ein Universalgenie.
Die Technik der alten Stadthalle war auch immer für die ein oder andere Anekdote gut. Hinter der Bühne gab es zwei kleine Garderoben. Während der Kampagne 1958 war in einer der Syphon kaputt und auf der Bühne der Gestank nicht zum Aushalten.
Musikalisches
Die Straßensänger vom Gesangverein Liederkranz wurden 1950 in Hofsänger umbenannt. Für die Texte des Chores sorgte bis zu ihrem Tode Waltraud Ensgraber. Hans Hohner, Dirigent der Hofsänger, war Anfang der 50er Jahre sehr aktiv und so schuf er auch das Lied vom „Bobbelsche“ – es war Naz Grundel auf den Leib geschrieben. In den 50er Jahren gab es in Eltville den Pfarrer Wohlrabe und dieser hatte ganz heimlich eine Freundin. Und was ein Zufall, sie wurden in der Schweiz von Eltvillern gesehen und die Hofsänger sangen: „Das Leben hat ‘nen besondern Reiz, in St. Gallen, in St. Gallen in der Schweiz.“
1953 standen Willi Christen (Tenor) und Fritz Barisch auf den Brettern des ECV sowie das Gesangstrio Naz Grundel, Willi Flöck und „de Eidu“. Der „Eidu“ war Martin Hennrich und der Spitzname kam von seiner Mutter, denn sie sagte immer zu ihm: „Ei Du, mein Martin Du, scheenster Borsch von Elfeld Du.“ Die drei sangen als Clowns: „An der Gartentüre hier hat ein Mädchen mir sanft die Hand gedrückt“, die 2. Strophe hatte den gleichen Text, aber sie haben ihn unter Gähnen vorgetragen und bei der dritten Strophe sind sie schließlich eingeschlafen.
Die Sitzung im Jahr 1954 war eine Marathonsitzung, die erst um 2:45 Uhr zu Ende ging. Kurz vor zwei Uhr kam noch ein Zirkus auf die Bühne mit Meta Ippel, die über ein Drahtseil balancierte und sang: „Oh, mein Papa…”. Hans Hohner kam als Musikakrobat und spielte mindestens 12 Instrumente, sein Sohn, gerade einmal 5 Jahre, spielte die Pauke. Er kam vorher aus dem Kontrabass geklettert.
1957 eröffnete zum ersten Mal der Fanfarenzug der kath. Jugend die Sitzung. Zum 11jährigen Jubiläum des ECV 1959 gab es nicht nur Heinz Grundel als unseren zweiten und bisher letzten Prinz Carneval sondern zum ersten mal traten „die Ringols“ auf mit Heinz Faust am Bandoneon und Naz Grundel an der Pauke. Winfried Gärtner und die „Brummer Leni“ sangen „Hey Mister Dallimann, dalli mi Banana”.
Büttenredner und Zwiegespräche
Auch wenn in den ersten Jahren die Sitzungsprogramme noch teilweise mit Gastrednern aus Mittelheim, Niederwalluf, Wiesbaden und Kiedrich aufgefüllt wurden, so konnte man die im Rheingau sehr bekannten Spaßmacher und Humoristen Willi Flöck, Naz Grundel und Änne Bott früh für den Verein gewinnen. Über die Jahre debütierten darüber hinaus viele unvergessene Redner erfolgreich in der Bütt des ECV, darunter Heinz Günter Haas als Schulbub, Karl Kiefer als „Butzfraa vom Bundesdaach”, Heinz Flöck, Walter Müller, Willi Scharhag, Franz Toni Merkel , Karlheinz Pesch, Gerd Adams, Waltraud Ensgraber, Hans Schiller und viele mehr.
Höhepunkte der Sitzungen waren auch immer wieder die Zwiegespräche und Sketche. Hans Schiller, ein Riese trug 1954 Winfried Gärtner, einen kleinen Mann im Seesack auf die Bühne und setzte ihn sehr unsanft ab, so dass Gärtner eine Beule am Kopf hatte. Im gleichen Jahr feierte die Familie Knorzel Premiere mit Vater Winfried Gärtner, Mutter Walter Müller und Karlschen Norbert Lange.
1956 waren zum ersten mal Winfried Gärtner und Werner Keil als Frau Bambelschnut und Frau Knüppelkorn sowie Waltraud Ensgraber und Elsbeth Hammer als Wäschweiber zu erleben:
„Dreckisch Wäsch werd viel gewäsche
manch Gemüt ist sehr erhitzt
doch mer soll mit Stoa nit werfe
wenn mer selbst im Glashaus sitzt!“
Im gleichen Jahr fand auch erstmals eine Kindersitzung statt. Fritz Barisch und Tochter Claudia spielten dabei die Clowns Bim und Bam.
Fritz und Hilde Barisch traten seit 1960 als Anton und Babbett auf. In ihrer ersten Rede sagte Babbett: „Du Anton, mir habbe heut Mus eigekocht.“, Anton: „Ja, Ja Babbett, es gibt verschiedene Arten von Mus. Es gibt Apfelmus, Zwetschenmus, Pflaumenmus…“. Do schreit die Babbett „un Orgasmus“ und verschwand für 5 Minuten in der Bütt.
Zu einem kleinen Eklat kam es 1961, als Naz Grundel und Heinz Faust „Der Fischer und die Loreley“ oder „Der stinkende Fischer und die grausame Nachthemdlerin“ brachten. Diese beiden hatten den Spruch: „Und aus dem Schornstein steigt der Rauch, un Kohle hot er auch.“ Damit war der „Kohle-Rauch“ gemeint, ein Flüchtling. Die Flüchtlinge waren sehr empört und kamen nicht zur 2. Sitzung. Diese fand deshalb vor halb leerem Saal statt aber der Vortrag der Beiden wurde trotzdem noch einmal dargeboten. Beim Auftritt hing man dem Fischer jedoch ein Schloß in den Mund und dankte für den stillen Vortrag – Abmarsch mit Narrhallamarsch.
1962 fand die letzte Sitzung des ECV in der Stadthalle statt, sie musste der Rheingauhalle weichen.